Die Black Box: technisches Wunderding – unerlässlich bei der Aufklärung von Flugunfällen

Nach dem jüngsten Absturz eines F/A-18-Doppelsitzers am Lopper (23. Oktober 2013) war am Unglückstag die Meldung zu vernehmen: „Die Black Box konnte noch nicht gefunden werden“. Diese Nachricht oder „Black Box geborgen“ ist nach einem Flugzeugabsturz fast stereotyp. Letzteres traf beim erwähnten Unfall tags darauf ebenfalls zu.

Beim ersten Absturz einer F/A-18-Maschine – ebenfalls ein Doppelsitzer – in Crans- Montana (1998) war dank der ausgewerteten Black Box schon 7 Tage nach dem Ab- sturz klar, wie der Unfall passieren konnte. Die militärischen Untersuchungsbehörden informierten damals wie folgt: „Die erhobenen Daten führen zum Schluss, dass der Pilot während der ganzen Zeitdauer der Unfallentwicklung bei Bewusstsein war. Der Pilot wurde höchstwahrscheinlich Opfer eines räumlichen Desorientierungssyndroms. Mit grösster Wahrscheinlichkeit kann davon ausgegangen werden, dass das Flugzeug in keiner Phase technische Mängel aufwies.“

Fest stand auch, dass die zweisitzige Maschine annähernd mit Schallgeschwindigkeit, bei der damaligen Temperatur mit 1000 bis 1100 km/h, auf den mit 45° geneigten Fels aufschlug und zwar in einem Winkel von 75° zur Horizontalen. Wohl spielen die Auswertung von Trümmerteilen, die Rekonstruktion des Flugwegs und weitere für die Abklärung des Unfallhergangs erhobene Elemente eine wichtige Rolle. Mit der Black Box, umgangssprachlich auch Flugschreiber genannt, sind aber schnellere und präzi- sere Aussagen über ein derartiges Vorkommnis Tatsache geworden.

Doch wie ist es möglich, dass ein solch komplexes und letztlich auch verletzliches elektronisches Hilfsmittel überhaupt noch funktioniert, wenn ein Flugzeug mit Schall- geschwindigkeit in den Boden rast? Der folgende Artikel soll dazu etwas Klarheit schaffen und auch beleuchten, wie es damit in der Zivilaviatik steht.

Spitzenprodukt – weltweit

Nach Angaben von Res Schmid, früher F/A-18-Testpilot der Gruppe Rüstung und heute Regierungsrat des Kantons Nidwalden, ist die F/A-18 die einzige Maschine der Schweizer Armee, die mit einer Black Box ausgerüstet ist. Hinzu kommt, dass diese Militärmaschine über das ausgeklügeltste Black-Box-System verfügt.

Die eigentliche Black Box hat ungefähr den Grundriss einer 100-Gramm- Schokoladetafel; sie ist allerdings etwas dicker. Geschützt gegen Feuer und umgeben von schockdämpfenden Elementen, befindet sie sich in einem leuchtend roten Ge- häuse aus Kunststoff von höchster Festigkeit, eine sogenannte Honigwabenstruktur. Masse: 40,6 x 33,5 x 8,4 cm; Gewicht: 3,41 kg. Darin befinden sich auch der Not- sender mit Batterie sowie der pyrotechnische Trennmechanismus des Datenübertra- gungskabels zum Flugzeug, wenn das „Deployable Flight Incident Recorder Set“ (DFIRS) – wie das System bei der F/A-18 heisst – vor oder beim Aufprall wegge- sprengt wird.

Der F/A-18-Kampfjet ist das einzige Flugzeug der Schweizer Luftwaffe, das mit einer Black Box ausge- rüstet ist (Foto: Schweizer Luftwaffe).

Bei der F/A-18 bildet das DFIRS einen Teil der Rumpfoberfläche auf der Innen- seite des linken Seitenruders. Beim Absturz in Crans-Montana aktivierten die Piloten vermutlich etwa eine Sekunde vor dem Aufprall den Schleuder-Sitz. Als erstes wechselte 0,02 Sekunden nach diesem Auslösen der Transponder der F/A-18 auf die Notfrequenz. Nur 0,01 Sekunden später wurde bereits das DFIRS mit der Black Box vom Flugzeug- rumpf nach oben weggesprengt.

Auch ohne Aktivierung des Rettungssystems hätte sich beim Absturz im Wallis das DFIRS vom Flugzeugrumpf getrennt, nämlich unmittelbar beim Aufprall der Flug- zeugnase auf das Gelände. Erfährt das Flugzeug nämlich eine Verzögerung von mehr als 20 g in Richtung Flugzeuglängsachse (mit einer Abweichung von ± 20°), die län- ger als 4 Tausendstelssekunden anhält, wird die Sprengung ebenfalls ausgelöst.

In der Zivilaviatik Standard

Während die Ausrüstung der F/A-18 mit einer Black Box in der Schweizer Luftwaffe eine Ausnahme ist, sind der Flight Recorder, wie das System in der Zivilaviatik heisst, und der zusätzlich vorgeschriebene Voice Recorder für gewerbsmässige Flüge grösserer Flugzeuge längst Standard. Beide befinden sich als separate Einheiten in derselben Edelstahlbox, deren Position im Flugzeug international genau vorgeschrieben ist. Bei Flugzeugen mit Triebwerken an der Tragfläche müssen die Recorder so weit hinten wie möglich platziert sein. Wird das Flugzeug von Triebwerken am Rumpf angetrieben (z. B. MD-80), müssen die beiden Recorder vor den Aggregaten angebracht werden, damit sie durch allfällig wegfliegende Teile bei Triebwerkdefekten nicht beschädigt werden. Im Unterschied zur Militäraviatik werden

die Recorder bei Zivilflugzeugen bei Unfällen nicht weggesprengt.

Die im Einsatz stehenden Flugzeuge kennen zwei Generationen von Flight Recordern, nämlich den von der F/A-18 her bekannten, mit Chips ausgerüsteten Typ, den Solid State Flight Data Recorder (A-320, MD-11), abgekürzt SSFDR, und das auf der digita- len Tonbandtechnik aufgebaute Aufzeichnungsgerät, den Digital Flight Data Recorder (B-747, A-310, MD-80). Beide Typen zeichnen endlos wichtige Flugdaten der letzten 25 Flugstunden auf. Alle Flugzeuge der heutigen Swiss sind mit SSFDR ausgerüstet, welche dem TSO-C124a-Standard des FAA entsprechen. Die überaus detaillierten

Voice und Flight Recorder befinden sich im Gegen- satz zu ihrer Bezeichnung (Black Box) immer in einem roten Gehäuse. Der Name ‚Black Box’ stammt aus der Computer-Sprache (weil letztlich nur der Hersteller die Details des Inhalts kennt).

Anforderungen und Testmethoden an diese Geräte sind im 320seitigen Dokument RTCA DO-160D des FAA „Environmental conditions and test procedures for airborne equipment“ geregelt.

Der Flight Recorder zeichnet eine Vielzahl von Daten auf. Dazu gehören Höhe, Ge- schwindigkeit, Beschleunigung, Fluglage, die geographische Position des Flugzeugs, eine Vielzahl von Triebwerkdaten (Leistung, Temperatur, Zustand, Stellung der Venti- le), Informationen über die Hydrauliksysteme (Druck, Temperatur) und die Compu- tersysteme (geladene Software), die Steuerimpulse der Besatzung, die Stellung der Ruder, der Klappen und Vorflügel, die Fahrwerkposition u.a.m. Eine wichtige Katego- rie von Parametern sind auch alle Anweisungen, welche die Besatzung von den Sys- temen bekommt (z. B. Warnungen). Nicht aufgezeichnet werden aber Parameter wie die chemische Zusammensetzung der Kabinen- oder Cockpitluft, aus denen sich eine allfällige Rauchentwicklung in diesen Räumen ableiten liesse.

Bei der am 2. September 1998 in Halifax verunglückten MD-11 der Swissair waren das 140 Parameter. Wesentlich dichter ist die gespeicherte Datenfülle bei der F/A-18, wo mehr als 300 Parameter erfasst werden, allerdings nur über die letzten 30 Minu- ten, weil das Flugzeug ja kürzere Einsatzzeiten hat als ein ziviler Jet.

Der Voice Recorder hält – je nach Flugzeugtyp – die Gespräche im Cockpit der letz- ten 30 Minuten bis 2 Stunden fest. Er dient bei der Untersuchung eines Unfalls im Allgemeinen lediglich als Hilfsmittel. Bei Verdacht auf „Rauch im Cockpit“ kann das Gespräch unter den Piloten aber wichtige Informationen liefern.

Enorme Widerstandskraft

Für beide Typen von Flight Recordern sind bezüglich Widerstandskraft weltweit Min- deststandards vorgeschrieben. Die Aufprallresistenz muss bei den Chip-Recordern mindestens 3400 g betragen. Das heisst, das Gerät muss einen Aufschlag von etwa 425 km/h auf Beton ohne Schaden überstehen. Beim Tonbandrecorder sind 2000 g, das heisst 250 km/h, vorgeschrieben. Genau festgelegt sind auch die Testmethoden für die Zulassung. Diese Resistenzwerte mögen auf den ersten Blick als gering er- scheinen, ist die Aufprallgeschwindigkeit doch oftmals höher. Nicht vergessen wer- den darf, dass die Zelle eines Flugzeugs für die Recorder eine Knautschzone darstellt. So waren beispielsweise beim Absturz der Alitalia-Maschine am Stadlerberg die Re- corder praktisch unbeschädigt. Mit Blick in die Zukunft sprach man vor gut 10 Jahren bereits von einer Aufprallresistenz von 5000 g (625 km/h). Ein solcher Schlag könnte im Testverfahren fast nur noch mit einem Schuss aus einer Kanone auf den Recorder erzeugt werden.

Was die Hitzeresistenz betrifft, müssen beide Typen mindestens eine Stunde lang 1100°C schadlos überstehen. Langsam schmelzende Kunststoffe innerhalb des Edel- stahlgehäuses wirken dabei als „Energiefresser“. Was die Salzwasserresistenz betrifft, zeigen Erfahrungswerte, dass die Recorder Wochen, ja Monate und sogar wenige Jahre in grossen Meerestiefen überstanden.

Der wohl berühmteste Fall „Black Box und Meer“ der jüngeren Aviatikgeschichte ist der Absturz einer vollbesetzten Airbus-Maschine des Typs A 330-200 der Air France. Sie war am 1. Juni 2009 um 03 Uhr Ortszeit vor der Küste Brasiliens in den Atlantik gestürzt. Alle 216 Passagiere und 12 Besatzungsmitglieder fanden dabei den Tod. Die Maschine mit Flugnummer AF 447 war von Rio de Janeiro nach Paris unterwegs und hätte gegen 11 Uhr MESZ in der französischen Hauptstadt landen sollen. Die genaue Unglücksursache konnte wegen der anfänglich fehlenden Flugschreiber nicht geklärt werden. Entsprechend schossen die Spekulationen ins Kraut.

Es begann buchstäblich ein Wettrennen um die Suche dieser Black Box. Am 6. Mai 2010, also fast ein Jahr nach dem Unglück, teilten Experten mit, dass sie nun den Ort, an dem die Black Box im Südatlantik liege, auf ca. fünf Kilometer genau ermit- teln konnten. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Paris erwies sich dies aber als Trugschluss; die Black Box von Flug AF 447 blieb weiterhin verschollen. Wiederum fast ein Jahr später – zwei Jahre nach dem Unglück –, nämlich im Mai 2011, konnte die Black Box dann in 4000 Metern Tiefe (!) geborgen werden und – das ist das wohl das Faszinierendste – ihre Daten waren trotz des enormen Drucks in dieser Tiefe und der fast zweijährigen Verweildauer im Salzwasser noch auswertbar. Die Ermittler rekonstruierten die dramatischen letzten Minuten dieses Todesflugs, während denen die Maschine aus 11 000 m/M ins Meer stürzte.

Das Auffinden im Wasser erleichtern die Recorder den Such- und Rettungstrupps anfänglich allerdings selber. Während ungefähr eines Monats wird aus der Box, in der sie eingelagert sind, ein Ultraschallsignal (kein Radiosignal) gesendet. Mit ent- sprechenden Sonargeräten (Mikrophonen), die von den Rettungsschiffen ins Wasser gehalten werden, können damit diese Datenträger geortet werden. Weltweit betrach- tet, bewegt sich die Zahl der in der Vergangenheit nicht auswertbaren Recorder im Prozentbereich.

Klar geregeltes Auswertungsprozedere

Grundsätzlich wäre die Black Box der 1998 bei Crans-Montana verunglückten F/A-18 auch in der Schweiz auswertbar gewesen. Aus Zeitgründen und um von der Auswer- tungserfahrung des Herstellers zu profitieren, entschloss sich der Untersuchungsrich- ter für eine Auswertung im Herstellerwerk in St. Louis in den USA. Mit dabei waren auch Schweizer Fachleute, mit der klaren Auflage, „die Black Box nicht aus der Hand

zu geben“. Die ermittelten Daten ermöglichten zusammen mit mehreren Simulations- filmen durch den Testpiloten im Simulator des Herstellers die Rekonstruktion des Flugweges inkl. Flugmanöver. Bereits während des Rückflugs aus den USA erstellte Testpilot Res Schmid einen Bericht zuhanden des Expertenstabs. Dieser hatte seiner- seits auf Grund der übermittelten Daten weitgehend parallele Schlüsse gezogen. Die gemeinsamen Auswertungen führten in der Folge zu einer Übereinstimmung der Auf- fassungen, welche letztlich vor der Bekanntgabe an die Öffentlichkeit durch den Testpiloten im F/A-18-Simulator in Payerne nochmals überprüft wurden.

Weil vor allem in der Zivilaviatik aus der Unfallursache finanzielle, rechtliche und an- dere, oft sehr einschneidende Konsequenzen für die Fluggesellschaft, den Hersteller u.a.m. resultieren können, ist das Auswertungsprozedere dieser sensiblen Datenträ- ger international klar geregelt. Damit kann die Gefahr von Fälschungen und Manipu- lationen weitgehend ausgeschlossen werden. So gilt, dass der „Operator“, d. h. die Fluggesellschaft – im Fall „Halifax“ die Swissair –, erst nach Abschluss der ganzen Untersuchung in den Besitz der Recorder kommen darf.

Bei einem Flugunfall in der Zivilaviatik ist grundsätzlich das Land zuständig, wo sich der Unfall ereignet, bzw. auf dessen Territorium die Trümmer zu liegen kommen. Die verantwortlichen Behörden entscheiden dann über das genaue Auswertungsprozede- re der Recorder, insbesondere auch über den Kreis der beizuziehenden Experten und Fachleute. Die MD-11 der Swissair stürzte in kanadische Gewässer, womit die Unter- suchung des Unfalls in die Kompetenz der kanadischen Untersuchungsbehörden fiel, was zur wohl umfangreichsten und kostspieligsten Unfalluntersuchung in der Zivilavi- atik führte.

Grundsätzlich ist auch eine Auswertung auf „neutralem Territorium“ möglich. Nach dem Absturz der Alitalia-Maschine am Stadlerberg (1991) beschlossen die Schweizer Untersuchungsbehörden beispielsweise, die Auswertung in England, das nichts mit dem Unfall zu tun hatte, durchführen zu lassen. Die britischen Unfalluntersuchungs- behörden in Farnborough sind im Übrigen in der Lage, sämtliche Recorder der Welt auszuwerten.

Die Daten des Flight Recorders werden nur bei einem Unfall herangezogen. Sie die- nen nicht der Beurteilung eines normalen Fluges. Diesen Zweck erfüllt in der Regel ein anderes System an Bord der Verkehrsmaschinen, das Automated Data Acquisition System, das – je nach Typ – bis zu 3500 Parameter erfasst. Bei der ehemaligen Swissair wurde jeder Flug anhand dieser Informationen analysiert. Im Unterschied zum Flight-Recorder, der keine Angaben über eine eventuelle Rauchentwicklung er- möglicht, lassen gewisse Parameter dieses Systems entsprechende Hinweise zu. Al- lerdings dürfte das Auffinden dieses Datenträgers bei einem Unfall wesentlich schwieriger sein, denn er ist nicht mit den beiden andern Recordern gekoppelt. Zu- dem weist er nicht die hohen Resistenzwerte der andern Datenträger auf.

Auch in Zukunft wird die Black Box – angelehnt an die Computersprache – eine Black Box bleiben, denn über ihre Funktionsweise und ihre letzten Geheimnisse weiss nur ihr Hersteller wirklich Bescheid.


Copyright © 2015 by Peter Bachmann